ein Gespräch zwischen Stefan à Wengen und Raymund Weyers
Stefan à Wengen:
Du sagtest mir einmal zum Thema des Verhältnisses von Gemälde und Gemaltem, dass zum Beispiel eine rote Billardkugel in der Realität durchgehend und einheitlich diese Farbe habe, hingegen solch eine rote Kugel in der Malerei nur durch mehrere Rottöne dargestellt werden könne. Auch in meiner neuesten Werkserie – Detected Dictionary– ist dies so umgesetzt, allerdings sind diese Bilder nicht farbig, sondern alle in Schwarzweiß gehalten, eine Art Grisaille-Technik, die das Schwarzweiß zu Grauabstufungen mischt, gleichsam wie eine weiße Billardkugel, die dann in der Malerei als Abbild in Grautönen gemalt werden musste. In meinen anderen Gemälden ist das aber etwas anders; ich arbeite mit Lasuren, die auf unterschiedliche Schattierungen von Farbe – meist Schwarz auf farbige Untermalung – gelegt werden, also nicht realistisch sind. Eine Grisaille-Lasurtechnik, die jedoch auch einen oder zwei Bunttöne mit einbezieht – eine Art Verdaccio-Technik, könnte man sagen.
Meine Hieronymus-Paintings beispielsweise sind auch in dieser Weise gemalt. Mich interessiert jedoch viel mehr der Inhalt als die Technik, die Mittel und Form bereitstellt.Der heilige Hieronymus beschäftigt mich schon seit längerem und dieser Tage scheint dieser Bezug auf die abendländische Kultur geradezu etwas Politisches zu beinhalten, wobei das Wort abendländisch ja geschichtlich wie politisch ein wenig kontaminiert ist und man heute vielleicht eher westlich sagen sollte.
In meinen Anfängen, noch als sehr junger Mensch, war die Kunst für mich eine Entdeckung, die Entdeckung. Mein Eindruck damals war – und ist es heute noch –, dass sie sich mit Wesentlichem zu beschäftigen hat, mit Themen wie Tod, Sexualität und Zeit. Sie verhandelte für mich Zwingendes, und dies hat für mich bis heute Gültigkeit. Detected Dictionary ist wie eine Reise zu diesen Anfängen und von diesen zurück bis zu meinen aktuellen Arbeiten – eine Art Bestandsaufnahme. Mit Detected Dictionary beziehe ich mich zugleich verstärkt auf Reflexionen zur Malerei als eine allgemein gültige Sprache.
Raymund Weyers:
Was Du von der bildenden Kunst sagst, indem sie als allgemeingültige Sprache avisiert wird, ist in der Geschichte der Ästhetik oft und geradezu emphatisch von der Musik gesagt worden, stelle sie doch eine künstlerische Ausdrucksform dar, die über Sprachgrenzen hinweg das Gemüt berühre und gleichsam unmittelbar verstanden werde. Bei näherer Betrachtung ist diese Universalität jedoch nicht so umfassend, wie es zunächst scheint. Verlässt man nämlich etwa den europäischen Klangraum, erstehen Barrieren, die sowohl in hierzulande ungebräuchlichen Intervallen als auch in rhythmischen Besonderheiten gründen, zudem gibt es außermusikalische Bezugsrahmen, die sich zwar im Studium solcher Werke erschließen lassen, die aber nicht sozusagen unmittelbar ins Ohr dringen.
Mit diesen Bedenken zurück zur bildenden Kunst: Muss man nicht auch bei ihr den Gedanken einer Universalität des Ausdrucks unter einschränkende Bedingungen stellen? Auch Sprachen sind ja einerseits, in ihren Worten und Begriffen, allgemeingültig in ihrem je eigenen Sprachraum in dem Sinne, dass man Wörter, mit vorkommenden Unschärfen, bedeutungsgleich versteht, als Bedingung der Kommunikation. Andererseits gibt es viele Sprachen – und niemand kennt sich in allen aus. Du sagst weiter, die Kunst (und das heißt ja, auch Du als Künstler) beschäftige sich mit Wesentlichem, etwa Tod und Sexualität und anderen Themen mit existenzieller Gewichtung; das tut sie in der Tat, auch Deine Werke bezeugen es. Aber sie – die Kunst – hat ihre eigene Weise der Betrachtung und Gestaltung, die aufgrund ihrer Komplexität nicht leicht zu bestimmen ist. Denn Tod und Sexualität, um die Beispiele aufzugreifen, sind auch Gegenstand teils alltäglicher Bewandtnis, teils wissenschaftlicher Betrachtung; von solcher Art der Vorstellung hebt die Kunst sich gerade ab. Ich denke, dass dies Deiner Selbst-Erfahrung als Künstler entspricht, als – „detective“.
Stefan à Wengen:
Der Maler nun als Detektiv, das hat etwas! Bezogen auf den Titel der Ausstellung bin ich vielleicht in der Tat ein Ermittler, gleichsam ein Forschenderin Sachen (eigener) Kunst. Doch anders als in der Wissenschaft muss Kunst nichts beweisen, müssen malerische Bildexperimente nicht immer zu einem jeweils identisch belegbaren Endergebnis führen.Was die Kunst als allgemeingültige Sprache betrifft, da muss ich Dir teilweise recht geben, ich hatte diese These als etwas genommen, was man ins Auge fassen kann, als einen vielleicht fruchtbaren Ansatz, ohne dies damit auch schon schlechthin zu behaupten. Sie impliziert allerdings, und so ist es doch in jeder Disziplin, auch in jener der Sprache selbst, dass sie einer vorherigen Schulung bedarf. Dies gilt sowohl bei Literatur, bei Musik, als eben auch bei Kunst und Malerei.
In der abstrakten Moderne sprach man gerne von einer Weltsprache und ich gebe mich zuweilen ebenfalls gerne als abstrakten Maler aus, der jedoch gegenständlich malt. Dies im Unterschied zu vielen anderen figürlich arbeitenden Zeitgenossen, von denen manche ihre Gemälde bemüht verrätseln und dabei eigentlich von allem und nichts sprechen.
Meine Erfahrungen mit der These von der Weltsprache der Bilder sind allerdings durchaus zwiespältig. Bei meinen Besuchen bei den Asmat* im Dschungel und in den Sümpfen Papuas habe ich nämlich, was solche Bildersprachen angeht, Erstaunliches erlebt. So zeigte ich einigen Schnitzern Fotografien verschiedener Skulpturen von Hans Arp, die ich dann in meinen The Mission-Gemälden vor deren Hütten gesetzt habe, sozusagen ein Re-Import an einen der Ursprungsorte, im Sinne einer malerischen Restitution. Doch diese Art der Ermittlung in Sachen Kunst als allgemeingültige Sprache erwies sich insofern als sehr schwierig, weil die Schnitzer ein zweidimensionales Bild, das aber eine dreidimensionale Skulptur abbildet, nicht lesen konnten; sie versuchten immer, hinter das Foto zu schauen! Stelle Dir das einmal vor, im 21. Jahrhundert!
Betrachtet man aber deren Schnitzkunst und versucht ein wenig in deren Empfindungswelt einzutauchen, so entdeckt man, ungeachtet der Zweckgebundenheit ihrer Kunst, ähnliche Anliegen, die sich mit Themen existenzieller Gewichtung auseinandersetzen. Wobei ihre spirituelle Welt, die von unzähligen Geistern und Ahnen besetzt ist, infolge der Missionierung in einen komplexen Synkretismus mündete, in welchem sich christliche Bekehrung mit animistischer Spiritualität mischen.
* Die Asmat (Volk des Baumes) sind eine Ethnie mit etwa 65.000 Angehörigen, die im Süden des indonesischen Teils der Insel Neuguinea in der Provinz Papua (ehemals Irian Jaya) ein Gebiet von der Größe Belgiens bewohnen. Dieses Dschungelgefilde ist von riesigen, sumpfigen Flusslabyrinthen durchdrungen und weist zudem eine 200 Kilometer lange Mangrovenküste auf.
Raymund Weyers:
Was Du zuletzt angesprochen hast, nämlich die spezifische Erfahrungs- und Empfindungswelt (hier: der Papua-Schnitzer), auf welche künstlerische Hervorbringungen bezogen sind, das hatte ich als Bezugsrahmen bezeichnet. Wo dieser nicht mindestens in Umrissen aufgehellt ist, da stockt unser Verständnis oder bleibt inadäquat. Und es ist ja bezeichnend (und entbehrt nebenbei aus unserer Perspektive nicht einer gewissen Komik), dass jene Schnitzer gleichsam an den Dimensionen irre werden, die ihnen die präsentierten Fotos vorgaukeln, indem sie sich offensichtlich deren Prinzip mangels Übung und Vertrautheit nicht leicht begreiflich machen konnten. Es ist darin etwas Analogisches zu meinem Exempel von der Billardkugel: Was man sieht (mit dem sogenannten geistigen Auge), nämlich eine Kugel (ein solcher Gegenstand ist realiter dreidimensional, und im gegebenen Fall monochrom), ist nicht das, was man realiter vor Augen hat, nämlich einen polychromen, zweidimensionalen Farbauftrag.
Der Beachtung wert ist auch Dein Hinweis auf die nötige Schulung. Denn ein Werk kann ja so kunstvoll sein wie es will, dem Auge eines blödsichtigen Betrachters bleibt es verschlossen. So meinen viele (wenn ich noch einmal zur Musik abschweifen darf), eine Bachsche Fuge erschließe sich auch dem Dudelfunkhörer ohne weiteres, hingegen erfordere eine dodekaphone Schönbergkomposition eventuell mehr; Bach würde mild-müde lächeln. Du musst, obwohl ein Ermittler, in dem Punkt mein Zeuge sein, dass es sich so verhält!
Ich komme zum Beschluss auf den Anfang zurück: Dass die Kunst, anders als die Wissenschaft, sich nicht um Beweise zu scheren habe. Das ist wohl wahr. Und doch wurde es versucht, mittelbar, in Gestalt einer Wissenschaft vom Schönen, wie sie Alexander G. Baumgarten Mitte des 18. Jahrhunderts kompendiös entwarf. Immanuel Kant erwies wenige Jahrzehnte später die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens – aber das ist philosophische Theorie, wir sollten zum Dictionaryzurückkommen…
Stefan à Wengen:
Zweifelsohne ist Kunst in einem bestimmten Sinne erklärungsbedürftig. So wurde beispielsweise des Öfteren über meine Werke geschrieben, dass sie sich mit kulturellen Codes befassten. Ich würde es aber eher als eine Auseinandersetzung mit Topoi bezeichnen. In den Geistes- und Kulturwissenschaften wird der Begriff Topos sowohl für Kategorien wie beispielsweise jene der Definition als auch für (Vorstellungs-) Bilder verwendet. Er verweist auf fest gefügte Klischees, auf Versatzstücke, auf konventionelle Gemeinplätze. Da sich Kunst und Malerei nicht um Beweise zu scheren haben, wie Du mir bestätigst, haben sie in ihrem `poetischen´ Spiel ebenfalls die Möglichkeit zu einer kommunikativen Unschärfe, gleichsam so, wie Du eingangs jene Wörter und deren darin enthaltenen Unschärfen zur Sprache brachtest. Man spricht dahingehend ja gleichfalls gerne von der Lesbarkeit eines Kunstwerkes. Und Bildtitel mögen da auch Hinweise zu solcher Lesbarkeit geben. Doch zuweilen ist es ein vertracktes Spiel; Titel können ebenso bewusst in die Irre leiten. Und es ist auch nicht so, dass meine Werke unbedingt in einer bestimmten Weise und nicht anders gelesen werden müssen, denn ich gehe bei meinen Ermittlungen mehrheitlich intuitiv vor – und bemühe dabei gerne und etwas kokett das kollektive Gedächtnis, das auch in mir abgelagert ist – und ich weiß anfangs selber nicht, was ich da eigentlich ermittle.
Es gibt diese alte Schulweisheit: Das Bild z.B. eines Schädels ist zuallererst einmal das Bild eines Schädels, dennoch gilt er zugleich als ein Topos, der als allgemein gebräuchliches Bild für den Tod steht. Ich versuche gerade dies, solche gebräuchlichen Topoi, in meiner Malerei neu zu befragen, allerdings eher am Leitfaden meines individuellen Gedächtnisses und nicht jederzeit allein am kollektiven Gedächtnis orientiert.
Die Schnitter-Gemälde sind vielleicht ein Beispiel dafür; die alten Mercedes-Autos sind zunächst hübsch wirkende Oldtimer, die, wie Christoph Lichtin im Katalog zu meiner Ausstellung im Kunstmuseum Luzern schrieb, aus der Requisitenkiste eines NS-Films zu stammen scheinen. Meine Motivation war es aber, mit diesen Gemälden jeweils ein nostalgisches Vanitas-Bild zu schaffen; die Rückwendung in die Vergangenheit und deren Verklärung und das Festhaltenwollen der Zeit impliziert, zumindest in meiner eigenen Melancholie, den Wunsch des Nichtsterbenmüssens (bei der Vorstellung unseres eigenen Todes bedrückt uns doch eher dieses, dass wir uns selbst vermissen, obwohl wir dann nicht mehr sein werden). Und trotz des Bildtitels, der wortsprachlich die kommunikative Inhaltlichkeit dieser Schnitter-Gemälde doch eher unterstützt, locke ich den Betrachter bildlich bewusst, jedoch auch lustvoll in eine falsche Richtung.
Raymund Weyers:
Einer der Punkte, die wir zuletzt ansprachen, betraf die Erklärungsbedürftigkeit von Kunstwerken, hier von Bildern. Eine Position dazu wäre zu sagen, dass die Werke doch für sich selber sprächen und solchen Beistands nicht bedürften. Andererseits sind sie doch, wie Erfahrung und Kunstwissenschaft bezeugen, in vielfacher Hinsicht erklärungsfähig. Freilich, ob ein Bild schön ist oder nicht, dazu wird sich kein Betrachter durch die Präsentation von Gründen und Erläuterungen beschwatzen lassen, dies unterliegt seinem eigenen Geschmacksurteil, und das ist kein Urteil über eine objektive Eigenschaft des betreffenden Dinges, sondern es sagt etwas aus über die Art und Weise, wie jemand davon affiziert wird. Aber zurück zur Erklärungsfähigkeit, besonders der Malerei; diese ist gegeben, aber eben nur respektive solcher Bestimmtheiten, die als objektbezogen vermittelt werden können. So ist die Kenntnis der Bedeutung verwendeter Symbole aufschließend für das Verständnis vieler Bilder, wie überhaupt Zeichen – also sinnlich wahrnehmbare `Dinge´, die auf anderes verweisen – seit alters her einen Fundus darstellen, aus welchem reichlich geschöpft wurde und wird. Nun hieß es ja von Deinen Bildern, sie befassten sich mit kulturellen Codes. Dann aber wäre eigentlich von Codes verschiedener Ordnung zu sprechen. Kulturen enthalten Codierungen, das wäre, analog zur sprachwissenschaftlichen Terminologie, dann der Objekt-Code. Mit solchem als ihrem Gegenstand befasste sich dann Deine Malerei; das wäre der künstlerische Meta-Code.
So verstanden, kann man die Malerei bzw. deren Rezeption dann in der Tat als ein Lesen ansprechen, d.h. als eine Art der Kommunikation, von der dann gelten würde, was auch für die sprachliche Kommunikation durch Begriffe gilt, nämlich dass sie ihre Unschärfen hat, die keineswegs jederzeit einen zu vermeidenden Mangel darstellen, sondern erstens intersubjektiv fast unvermeidlich sind und zweitens sogar eigenen Reiz entwickeln können.
Ein Wort noch zum kollektiven Gedächtnis und zur Intuition, beide Ausdrücke fielen. Ersteres hat seinen Gegenpol im individuellen Gedächtnis und Bewusstsein, so wie die Intuition den ihren in der Reflexion. Dass man mit den individuellen Inhalten des Bewusstseins und mit dessen vielfachen Assoziationen rechnen muss, sie aber nicht zwingend leiten kann, zeigt ja Dein Beispiel des Mercedes-Autos im Schnitter-Bild von 2009, von dem geschrieben wurde, es scheine aus der Reliquienkiste eines NS-Films zu stammen. Solche Verbindung ist assoziativ, aber keineswegs zwingend. Und Intuition, dieses Vermögen ist immer schon mit künstlerischer Produktion in Verbindung gebracht worden, zu deren Absetzung von bloß planvollem Verfertigen.
Ich frage Dich: Wie kommt man auf die Idee, bei Porträts deren ursprünglichen Sinn durch Kreuzungen und Verfremdungen zu umgehen?
Stefan à Wengen:
Du sprichst sicherlich die Original Gurus an. Zuvor jedoch möchte ich noch den einen Punkt kurz erläutern, den Du erwähntest, Werke sprächen in erster Linie für sich selbst, worin ich Dir entschieden beipflichte. Dass Gemälde gleichwohl erklärungsfähig sind, belegen wir bereits durch unser Gespräch. Ob und inwieweit sie zusätzlicher Erklärung bedürfen, müsste man gesondert untersuchen.
Doch zurück zum Porträt: In der Kunst der Gegenwart spielt die Porträtmalerei keine große Rolle mehr. Dies mag daran liegen, dass die Fotografie diese Aufgabe übernommen hat und zwar dergestalt, dass sie diese mit ihrem dokumentierenden Charakter viel besser einlöst, als die Malerei es kann. Und das ist eine der Motivationen, mich dennoch oder gerade deshalb mit der Porträtmalerei auseinanderzusetzen. Dies bedeutet allerdings für einen konzeptuellen Maler wie mich, der gleichzeitig auch emotional und zuweilen intuitiv ermittelt, dass ein Porträtgemälde noch etwas viel Zwingenderes haben muss als, sagen wir, Landschaftsmalerei. Denn was macht es für einen Sinn, irgendjemanden zu porträtieren, wenn das die Fotografie so viel besser kann?
Porträts sind indessen immer Bilder von Menschen, das heißt von Sterblichen, und insofern gehören sie in weitem Sinne genommen unter den Titel der Vanitas, sowohl in der Malerei als auch in der Fotografie. Die Porträtfotografie, wie übrigens auch die Fotografie im allgemeinen, besetzt ihr Genre jedoch durch belegbare Dokumente (so und nicht anders wurde das fotografierte Objekt/Ding oder Gesicht zuvor gesehen und dann fotografisch festgehalten), während die heutige Porträtmalerei sich gleichsam genre-inhärent auseinanderzusetzen hat, also der Wahrheit anders verpflichtet ist. Das kann selbstreferenziellen Charakter haben wie die Serie meiner 49 Geister-Porträts aus dem Jahre 2005, in deren Gesichter ich Augen des Bösen eingepflanzt habe und so, wenn man es ganz streng sehen wollte, selbst Böses tat. Oder indem ich in die Antlitze meiner einstigen, mittlerweile verstorbenen Künstleridole väterliche Bärte implantiere. Vorlagen dieser Gemälde sind – wie übrigens für viele meiner anderen Bilder auch – von mir zuvor gefertigte Collagen. Diese Vorarbeit ließe sich sicherlich leichter am Computer erledigen und anschließend als fertiges Bild ausdrucken, aber es wäre dann eben ein virtuelles Arbeiten und somit ein anderes, als diese „analogen“ Vorlagen in Malerei zu übertragen, ein Vorgehen, das mit Verlangsamung, mit Handanlegen und folglich auch mit direkter und liebevoller Hinwendung zum Motiv zu tun hat. Es sind also weniger Kreuzungen oder Verfremdungen, sondern viel eher Auswüchse oder Überhöhungen, mit denen ich das Genre der Porträtmalerei traktiere, sozusagen Fälschungen erschaffe, die als Malerei wiederum Originale sind.
Doch, um Dir den Ball zurückzuspielen und zur Lesbarkeit von Gemälden und auf innewohnende Unschärfen zurückzukommen: Mit welchen Assoziationen bezüglich der Original Gurus, nachdem ich deren Hintergründe nun schon vorauseilend etwas aufgedröselt habe, müsste ich denn bei Dir rechnen?
Raymund Weyers:
Als ich die Reihe der Original Gurusdamals in Deinem Atelier sah, habe ich alsbald einige Fragen gestellt. Wer sind diese Köpfe? Was ist bei den Porträtierten verändert? Dies zeigt ja ein Erklärungsinteresse an, auch an den technischen Prozessen, wobei dieses erstens individuell verschieden ist, nämlich abhängig vom Kenntnisstand, und zweitens betrifft es objektive Aspekte der Werke, nicht das Gefallen, oder mit einem älteren Ausdruck: nicht das Wohlgefallen am (Kunst-)Schönen als solches.
Dies bestätigt sich in Deinen Erläuterungen zur Porträtmalerei und zur Vanitas, beides gattungsspezifische bzw. kunsthistorische Kategorien; wer sich darin auskennt, hat die Nase des Verstehens vorn. Zum Beispiel die Porträtmalerei: Du weist hin auf die Auffassung, dieser sei durch das Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert in ihrer primären Funktion eine Konkurrenz erwachsen. Ja freilich, eineihrer Funktionen wurde ersetzbar, und zudem leichter und billiger verfügbar. Aber ist, andererseits, die mimetische Funktion der Porträtmalerei die vorwaltende, gar einzige? Der Mimesis-Charakter der Künste, seit alters her behauptet, könnte eine Facette statt des Wesentlichen betonen; vor knapp 2500 Jahren spottete Platon, wenn das „naturgetreue“ Abbild, die Mimesis als bloße Nachahmung verstanden, den Maßstab setze, dann müsse man doch wohl den als herausragenden Künstler ansprechen, der – mit einem Spiegel in Händen umherlaufend – genau dies bewerkstellige. Und also dürfte wohl die Mimesis, auf solche Verdoppelung verkürzt, mehr Fragwürdiges enthalten als Klarheit schaffen.
Ebenso hat der Vanitas-Topos bzw. dessen Symbole (Erkennungszeichen) eine lange kunsthistorische Schleppe, deren Textur teils religiös, teils philosophisch durchwirkt ist, verweist er doch auf das transitorische, gleichsam hinfällige irdische Dasein einerseits wie auf einen unreflektierten Glücksbegriff andererseits, je nach Perspektive. Das Glück nämlich, dieses reizende Ideal der Einbildungskraft, welche sich ein perfektes, d.h. vollendetes Wohlbefinden entwirft, wäre – realisiert – ein Zustand, der ein Maximum solchen Befindens nach Intensität, Extensität und Dauer bedeutete, folglich ein uns unmöglicher Zustand. Dauer! Alle Lust will Ewigkeit, so der Beschluss von Zarathustras Rundgesang; kein Programm für Sterbliche also, mithin nicht für Menschen. Andererseits, wer wollte sich bei Verstand bloß einem `nichtigen´Treiben der Welt verschreiben und die Vergänglichkeit verdrängen, welche die Vanitas-Symbole der Malerei – die erloschene Kerze, die welkenden Blumen, auch Dein Hieronymus – in Erinnerung rufen. In solcher Symbolik reflektiert der Maler das, was der junge Schopenhauer ins Stammbuch notierte: Nehmt aus dem Leben die Momente (…) der Kunst und der Liebe – was bleibt als eine Reihe trivialer Gedanken. Die Kunst, wie ich es sehe, tritt dem entgegen und wuchtet ihre Steine, große Brocken darunter, den Berg hinauf…
Stefan à Wengen:
Deine Gedanken aufnehmend mal ganz unter uns: Mir sagte einmal ein Galerist – also jemand, der die Nase des Verstehens in diesem Geschäft vermeintlich vorne hat –, ich sei als Maler vielleicht zu intelligent! So sehr dieser Spruch meiner Eitelkeit geschmeichelt hat, so sehr hat er mich auch ungeheuer verärgert. Er will nämlich besagen, dass die Malerei zwar vielleicht nicht dumm, aber doch dümmer scheine als andere Ausdrucksmedien der Künste. Zwar wird die Malerei noch immer als Königsdisziplin verstanden, sie muss allerdings zugleichihr regelmäßig herbeiorakeltes und angeblich baldiges Ende immer wieder von Neuem miterleben und erdulden. Was bei einem linearen Verständnis nichts anderes heißt, als dass sie eigentlich ihren Zenit erreicht, womöglich überschritten habe. Dies im Gegensatz zu Teilen zeitgenössischer Fotografie, die in diesem Gebiet insofern wildert, als sie die Malerei zuweilen imitiert, ohne freilich deren Originalität zum Vorbild nehmen zu wollen (Editionsauflagen, Neudrucke bei zerstörten Arbeiten, etc.), die Malerei dann wiederum dieses Imitieren zurückerobernd imitiert. Damit wir uns da nicht missverstehen: Ich liebe die Werke einiger Fotokünstler, meist aber eben solche, die diese Problematik in ihr Werk mit einschließen. Ich beziehe hier Position, obgleich mich der Disput darüber sowohl bereichernd fasziniert, als auch zuweilen amüsiert, denn er ähnelt verdächtig an den Paragone delle arti, d.h. an den vermeintlich längst entschiedenen Wettstreit zwischen den Disziplinen Malerei und Bildhauerei.
Ein anderes ist, dass ein hiesiger Kunstzeitungsherausgeber in seinen Texten über Malerei diese allenthalben despektierlich als Flachware bezeichnet. Dem halte ich gerne Fotoabzüge und -drucke sowie Videoprojektionen entgegen – ist das nun etwas anderes als Flachware? Obgleich ich zugeben muss, dass es einige Maler gibt, die in der Tat den physischen Körper, der Malerei trägt, nicht mitdenken und deren Bilder dann buchstäblich um die Ecken gehen.
Dass nun Malerei ein gewisses Denken beinhaltet, beweist schon der Blick zurück in die Kunstgeschichte, deren Textur, wie Du sagst, teils religiös und eben auch teils philosophisch durchwirkt ist. Diese kunstgeschichtlich verbürgte Tatsache ist zweifelsohne eine große Last, großer Brocken Steine gleich – mit Deinen Worten zu sprechen.
Abschließend noch kurz ein Wort zur Nachahmung: Zu Luthers Zeiten galt der Affe noch als Teufelstier. In der Renaissance nobilitierte er zur Allegorie der Kunst, respektive zum Bild des Künstlers. Dieses tierische Stellvertreterbild akzentuierte nun die Naturhaftigkeit der Kunst sowie den Naturtrieb des künstlerischen Schaffens. Diesem Verständnis nach steht der Primat allegorisch für die Mimesis. Insofern könnte jeder Affe, den ich male, ein Selbstporträt sein, würde ich mir beim Malen nichts dabei denken.
Raymund Weyers
Der 1949 geb. Philosoph und Autor lebt in Köln und lehrt seit Jahrzehnten an der dortigen Universität mit den Schwerpunkten Erkenntnistheorie, Staatsphilosophie und Ästhetik.